Der Film führt in die Lebenslinien dreier Frauen hinein. 1923: In Südengland leidet Virginia Woolf (Nicole Kidman) unter Halluzinationen, ist in Konflikt mit ihrem Mann Leonard und mit ihren Hausangstellten und ertränkt sich im Fluss. 1951: In Kalifornien möchte die in ihrer Ehe unglückliche Laura Brown (Julianne Moore) sich das Leben nehmen, besinnt sich aber aus Verantwortung gegenüber ihrem fünfjährigen Sohn. 2001: In New York plant Clarissa Vaughan (Meryl Streep) eine Party zu Ehren ihres Freundes und früheren Geliebten Richard (Ed Harris), der sich im letzten Stadium seiner AIDS-Erkrankung befindet und sich kurz vor Beginn der Party aus dem Fenster stürzt.
Stück für Stück gerät man als Zuschauer in diese Lebenszusammenhänge hinein. Es wird spürbar und teilweise offensichtlich, dass jede der drei Frauen unter den Bedingungen ihres Lebens leidet. Virginia Woolf hat sich von ihrem Mann Leonard dazu überreden lassen, aufs Land zu ziehen und stellt fest, in welchem Maße sie sich aus Furcht vor anderen bestimmen lässt. Sie fühlt sich dem Leben nicht mehr gewachsen und möchte sich umbringen. Clarissa muss sich von ihrem todkranken Freund Richard sagen lassen, dass sie ihn umsorgt, um sich nicht mit ihrem eigenen Leben zu konfrontieren. Er behauptet, nur ihretwegen sei er noch am Leben. Und Laura fühlt sich von ihrem biederen Eheleben erstickt, so sehr sie sich auch bemüht, ihrem Mann eine gute Ehefrau und ihrem Sohn eine gute Mutter zu sein.
Je länger man diesen Frauengeschichten zuschaut, desto mehr ergibt sich eine Textur, die alle drei Schicksale überspannt. Man stellt Analogien fest und Abweichungen. In allen drei Geschichten geht es um das falsche Leben, um den Tod und um die geringe Aussicht auf das Glück. Alle Frauen haben das Gefühl, ein falsches Leben zu führen. Es ist das Gewebe des Lebens „so wie es ist“, dem man hier „ins Auge schaut“ (s .u. Zitate Virginia Woolfs am Ende des Films), in dem sich Träume in Enttäuschungen und Hoffnungen in Leiden verkehren. Eine verbindende Ebene erhalten die Geschichten durch Virginia Woolfs Roman „Mrs. Dalloway“. Im Film schreibt Virginia daran und überlegt sich, welche Figur sie darin sterben lassen wird. Zunächst fällt die Wahl auf die Heldin und dann auf „den Poeten“. Laura Brown liest den Roman und sieht sich in der Heldin gespiegelt, was sie auf die Idee bringt, sich das Leben zu nehmen. Sie will also über die gelesene Geschichte hinausgehen (in der die Heldin sich nicht das Leben nimmt). Und Clarissa wird von Richard, einem Schriftsteller, „Mrs. Dalloway“ genannt, weil sie sich selbst ähnlich wenig kennt, wie die Romanfigur. Er übernimmt in der Filmgeschichte die Rolle des sterbenden Poeten und bringt sich um.
Dieses zunächst diffuse Gespür für die Analogien und Abweichungen von Roman und Lebensgeschichten erhält eine überraschende Bestätigung, wenn enthüllt wird, dass Richard Lauras kleiner Sohn war, den sie nur einige Monate nach ihrem Selbstmordabbruch mit ihrer neu geborenen Tochter bei dem Vater zurückließ. Sie gilt unter den Frauen in New York als „das Monster“ – ein Ausdruck, den Clarissas Tochter Julia (Claire Danes) ins Gespräch bringt. Bisher schienen die drei Geschichten nebeneinander herzulaufen. Doch nun werden sie miteinander verbunden und man bekommt in einer ungewöhnlichen Gleichzeitigkeit dargeboten, wie frühere Beziehungen (zwischen Mutter und Sohn) in späteren als Muster erhalten bleiben oder sich abwandeln. Zum Beispiel litt Richard 1951 darunter, dass sich seine Mutter an dem Roman von V. Woolf orientierte. Aber in 2001 gibt er Clarissa, die ihn aufopferungsvoll pflegt, den Namen der Romanheldin, mit der sich seine Mutter identifizierte. Eine abgewandelte Wiederholung der Vergangenheit.
Das Gewebe von Bezügen zwischen den drei verschiedenen Zeiten und Frauen und dem Roman, das sich erst im letzten Viertel des Films zu erkennen gibt, rückt die vorher disparaten Einzelheiten zu einem Ganzen zusammen. Mit einem Male sieht man alle Figuren in einen Zusammenhang verstrickt, den man vielleicht als das „Gewebe des Lebens“ bezeichnen kann. Es wird nun deutlich, dass Literatur und Leben aus ein und demselben Stoff sind. Ja, dass wir die Geschichten leben, die in den Romanen beschrieben werden: Gelebte Literatur. Und wenn zum Abschluss plötzlich die um fünfzig Jahre gealterte Mutter Richards, Laura Brown, in Clarissas Wohnung steht, wird dieser Zusammenhang physische Realität. Vor Clarissa steht die Frau, die mit ihrem Verhalten wesentlich zur Ausformung der Beziehung zwischen ihr und Richard beigetragen hat.
The Hours ist nicht nur ein Film über drei Frauen, die aus dem Rhythmus des Lebens geraten sind. Der Film von Stephen Daldry macht in seinen 110 Minuten die menschliche Wirklichkeit als ein Ganzes erfahrbar, in dem verschiedene Lebensbilder aufeinander stoßen, sich anziehen, abstoßen, dabei manchmal einander beschädigen und doch immer wieder zu Momenten des gegenseitigen Verstehens finden. Virginia ist in ihrer Psychose gefangen und muss feststellen, dass sich ihre Hausangestellten über sie lustig machen und ihr Mann Leonhard von seinen guten Absichten geblendet ist. Laura ist in einer Depression gefangen, von der nur ihr fünfjähriger Sohn Richard etwas mitbekommt. Nur für Clarissa scheint es am Ende einen Ausweg zu geben. Sie hat sich zehn Jahre lang um den an AIDS erkrankten Schriftsteller Richard gekümmert und dabei ihr eigenes Leben aus dem Blick verloren. Am Ende des Films befreit sie sich aus ihrer Bezogenheit. Nicht zuletzt mit der Hilfe von Richards Mutter Laura Brown, die sich fünfzig Jahre zuvor für „das Leben“ entschied und dafür in Kauf nahm, ihren Mann und ihre beiden Kinder allein zu lassen. Indem die Menschen ihrem Lebensweg folgen, verletzen sie unvermeidbar andere. Das kann man beklagen oder zu verleugnen suchen. Man kann es aber auch so sehen wie es ist. Wie sagt Virginia in ihrem Abschiedbrief an Leonhard? „Dem Leben ins Gesicht zu sehen. Immer! Dem Leben ins Gesicht zu sehen und es als das zu erkennen, was es wirklich ist. Es endlich als das zu erkennen und zu leben, was es ist. Und es dann fortzugeben“
The Hours spielte in den USA über 40 Millionen Dollar ein und erreichte in deutschen Kinos 0,7 Millionen Zuschauer. Ein beachtliches Ergebnis für einen Film, der einen solch scharfen und schonungslosen Blick auf die menschliche Wirklichkeit wirft.
04.01.2004