Die Queen (GB 2006)
Buch: Peter Morgan
Regie: Stephen Frears
Die Queen« spielt im September 1997 in England. Das war der Sommer, in dem die ehemalige Frau des Prinzen of Wales, Diana Spencer, bei einem tragischen Autounfall starb und Tony Blair achtzehn Jahre konservative Regierung in Großbritannien ablöste. Autor Peter Morgan und Regisseur Stephen Frears machen aus den Ereignissen eine bewegende Begegnung zwischen dem jungen Labour-Premierminister und der seit fünfundvierzig Jahren regierenden Königin Elizabeth II.
Der Film beginnt mit einer Gegenüberstellung: Auf der einen Seite die alteingesessene Monarchie, vertreten durch Elizabeth II (Helen Mirren). Das Hofzeremoniell hat den plötzlichen Tod der offiziell nicht mehr zur Familie der Windsors gehörigen „Lady Diana“ nicht vorgesehen. Auf der anderen Seite steht der frisch gebackene Premierminister Toni Blair (Michael Sheen), der gerade dabei ist, aus seinem kunterbunten Eigenheim in die ehrwürdige Downing Street umzuziehen und sich in die Würden und Pflichten seines Amtes einzufinden.
Diese konträren Positionen geraten in einen, sich um den Tod Dianas drehenden Wirbel von kollektiver Bestürzung und Verehrung, der sie in der Folge immer mehr erfasst. Er setzt nicht nur in Großbritannien, sondern in der ganzen Welt eine beispiellose Wirkungseinheit in Gang. Der Film macht mitvollziehbar, wie die aus ihr erwachsenden Folgen die britische Monarchie in ihre wohl schwerste Krise stürzen. Dem charmanten und jungenhaften Tony Blair verhilft sie jedoch zu einem charismatischen Debüt auf dem Parkett der Politik. Das Bewegende an dem Film ist, dass die um Diana zentrierte Wirkungseinheit „alte“ Monarchie und „junge“ Regierung zunächst auseinander zu reißen droht, dann aber auf unerwartete Weise in eine gemeinsame Richtung führt.
Königin Elizabeth, eins geworden mit der Tradition der Windsors, lockert sich allmählich aus ihrer festen Spur heraus, akzeptiert den Wandel der Zeit und lässt sich von dem seelisch-medialen Komplex um „die Königin der Herzen“ erfassen. In gewisser Weise kommt dies einer Kapitulation gleich. Aber, anders als erwartet, bezieht Elizabeth daraus keinen Schaden, sondern erlangt neuen und vertieften Respekt. Denn damit wächst die strenge Königin über sich selbst hinaus. Auch Tony Blair muss sich aus seinen Traditionen herauslösen. Die gerade an die Macht gekommene Labourpartei steht mit dem Königshaus auf dem Kriegsfuß. Seine spitzzüngige Ehefrau, sein strategischer Berater und viele andere Funktionäre seiner Partei machen sich über die starre Haltung der Königin lustig und beginnen genüsslich damit, die Monarchie auszuzählen. Gegen diese Haltung setzt sich der junge Premierminister durch und nimmt es in Kauf, die Einheit der aus der Wahl siegreich hervorgegangenen Partei einer Belastungsprobe zu unterziehen. Doch gerade durch sein ungewöhnliches Engagement verankert sich Tony Blair in den Herzen seiner Landsleute. Weil sich Regierungschef und Staatsoberhaupt dazu durchringen, gegen den Strom zu schwimmen, überwindet schließlich die Nation als Ganzes den durch den Tod Dianas aufgerissenen Graben zwischen Tradition und den Forderungen des Tages.
Der ruhig und konzentriert wirkende Film von Stephen Frears verrückt zwei einander konträr gegenüberstehende und verfestigte Lebensbilder in ein mitreißendes, gemeinsames Werk. Er macht auf bewegende Weise spürbar, wie eingeschliffene Haltungen durch den Ruf aktueller, seelisch-kultureller Wirkungseinheiten eine Verzauberung erfahren. Für Elizabeth konnte die aus dem Tod Dianas entstandene, kollektive Ergriffenheit das Ende der Monarchie bedeuten. Für Tony Blair war sie eine willkommene Gelegenheit, seine Position als Regierungschef und seine Verankerung im Volk zu festigen. Der Film wirft beide Schicksale in den Wirkungsbereich einer dritten Größe, die sie nur begrenzt in der Hand haben. Er lässt mit vollziehen, wie Zwei in einem Dritten aufgehen. Und heraus kommt etwas Viertes, was niemand der Beteiligten im Blick hatte und keiner voraussehen konnte. So verrückt und phantastisch geht es zu – auch in der Welt der Politik.
Die Strömung der „Königin der Herzen“ hatte 1997 Tony Blairs enorme Popularität begründet. In diesem Fall hatte er das Glück, eine Wirkungseinheit für sich nutzen zu können, die auch heute noch in einem ähnlichen Sinne wirksam ist. Aber die seelisch-kulturelle Wirklichkeit meint es nicht immer so gut mit ihren Akteuren. Tony Blair sieht sich heute einer wachsenden Kritik wegen seiner Irakpolitik ausgesetzt. Sein, zusammen mit dem amerikanischen Präsidenten vor fünf Jahren begonnener, militärischer „Kampf gegen den Terrorismus“ ist inzwischen dabei, sich gegen seine Erfinder zu wenden. Im Film wird Blair von der Königin in ihrem letzten Gespräch im Buckingham Palace auf diese Zeit vorbereitet. Sie sitzt schon länger auf dem Thron und weiß, dass alles, was die Menschen in die Welt setzen, sich schließlich gegen sie und ihre besten Absichten wendet.
The Queen ist mein persönlicher Oscar-Favorit.
Dirk Blothner