Miami Vice (USA 2006)

Buch & Regie: Michael Mann

Am Anfang ist der Rahmen deutlich gezogen. Sonny Crocket (Colin Farrell) und Ricardo Tubbs (Jamie Foxx), Undercover Polizisten am Miami Policedepartment, führen in einer überfüllten Diskothek einen Einsatz durch. Sie und ihre Leute sind hoch konzentriert, haben die Mädchenhändler fest im Blick. Die tanzenden Menschen lenken sie von ihrem Auftrag nicht ab. Zwar erlaubt sich Sonny einen kleinen Flirt mit dem Mädchen hinter der Bar. Doch schon tritt er zurück in die Formation der Beamten. Aber der Mädchenhändler kann entwischen und Sonny muss für einen Moment zum Telefonieren nach draußen. Es ist ein Informant. Er berichtet, ein Einsatz des FBI, für den er „ausgeliehen“ wurde, sei schief gelaufen. Die Gangster hätten das Doppelspiel erkannt und seine Frau als Geisel genommen. Sonny und seine Leute sind sauer. Warum kann das mächtige FBI seine eigenen Leute nicht schützen? In ihrer lokalen Einheit würde so etwas nicht passieren! Und schon werden sie von der Bundesbehörde engagiert, sich in die faschistische Drogenhändlergang, die die verdeckt arbeitenden FBI-Leute brutal erschossen hat, einzuschleusen. Zu ihrer eigenen Überraschung geraten sie mitten hinein in einen global operierenden Drogenring, der seine Basis in Südamerika hat.

Sonny und Ricardo stehen nun alle nur erdenklichen Mittel offen. Wir sehen sie im Cockpit von verschiedenen Flugzeugen, auf der Kommandobrücke eines Frachters, am Steuer von schnittigen Hochgeschwindigkeitsbooten und in den schönsten und schnellsten Fahrzeugen, die die Autoindustrie herstellt. In zugleich hart und flüssig geschnittenen Sequenzen wechseln sie zwischen den Kontinenten und allmählich wissen wir – und wissen auch die Undercoveragenten selbst – nicht mehr zu welcher Seite sie eigentlich gehören. Sie schlüpfen in die Rolle von international operierenden Drogenschmugglern, die bei einem einzigen Einsatz Anteile in zweistelliger Millionenhöhe kassieren. Der Rahmen ihres beruflichen Spielraums weitet sich und als Zuschauer bekommt man das Gefühl, mit nur einem klitzekleinen Schritt könnten sie die Seiten wechseln und auf ihren abenteuerlichen Reisen durch die Welt ohne große Mühe unvorstellbar reich werden.

Und dann passiert, was in der ersten Sequenz in der Diskothek schon angedeutet wurde. Sonny flirtet mit der Partnerin und Geliebten des mächtigen und eiskalten Drogenbosses und Waffenhändlers, der sich „Erzengel“ Jesus Montoya (Luis Tosar) nennt. Die kühle Chinesin Isabella (Gong Li) lässt sich auf den Flirt ein und damit bricht eine ganz andere Ordnung in den Film hinein. Sie hat zu tun mit der unmöglichen Anziehung zwischen zwei Menschen, mit der Hoffnung, irgendwo außerhalb dieser durch Zynismus, Gewalt und Gier bestimmten Hyperaktivität ein glückliches Leben zu führen. Eine zugleich romantische und hochexplosive Phantasie. Kurz entschlossen machen sich Sonny und Isabella in einem Speedboot auf den Weg nach Havanna. In einer Bar am Meer, fernab vom internationalen Drogenhandel, trinken sie exotische Cocktails, tanzen zu lateinamerikanischen Rhythmen und lieben sich.

Viele Zuschauer bedauern diesen Themenwechsel des Films und wünschen sich zurück in den Hexenkessel der überdrehten Action. Doch Michael Mann, der Filmemacher mit der wohl musikalischsten Handschrift Hollywoods, sind diese Bedenken egal. Er fährt den explosiv-romantischen Abstecher aus, führt ihn auf einen zärtlichen Höhepunkt zu und zieht sein Echo als sehnsuchtsvolles Ziel durch den Rest seines technisch perfekten Films. Wie die Eingangsszene schon andeutete, wird der Liebestraum scheitern. Sowohl Isabella als auch Sonny sind nicht Herren ihrer selbst. Sie sind Zahnräder in einem globalen Räderwerk mit einander entgegenlaufenden Schwungrädern. Aus diesem Rahmen können sie sich nicht lösen, denn er ist überpersönlich und hat alle Beteiligten fest im Griff. Am Ende hilft Sonny Isabella, nach Kuba zu entkommen und begibt sich zu seinen Kollegen ins Krankenhaus. Denn dort liegt Trudy (Naomie Harris), die Freundin seines Partners Ricardo, die bei dem Einsatz schwer verletzt wurde. Um sie muss er und will er sich kümmern. Und er will zurück zu seiner kleinen Polizeitruppe, in der er seinen Platz gefunden hat. Das Ende eines explosiven Höhenfluges, der für einen Moment von der Illusion einer Grenzen überschreitenden Liebe ergriffen wurde.

Michael Manns Film ist eine aktualisierte Version der TV-Serie Miami Vice aus den 80er Jahren. Er rückt den beliebten Fernsehstoff in die globalisierte Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts und entwirft im Rahmen des Actiongenres, einem Holzschnitt gleich, ein Bild von wesentlichen Kultivierungsrichtungen unseres Alltags.

Da ist erstens eine kontinuierlichen Entwicklungsprozessen entkoppelte „panische Reise“ (W. Salber): Wie im Videospiel überspringen die Figuren die Grenzen ganzer Kontinente und jagen mit großen Sprüngen durch die Wirklichkeit. Formal macht der Film diesen Zug in seinen schnellen und harten Schnitten spürbar, in seinen mutigen Auslassungen aber auch in seinem scheinbar mühelosen, musikalischen Fluss. Die mitreißenden Ausflüge gipfeln in der von Anfang an zum Scheitern verurteilten Liebe zwischen Sonny, dem Polizeibeamten und Isabella, der eleganten und erotischen Managerin des globalen Verbrechens. Dieser Strukturierungsrichtung gegenüber steht zweitens eine Sehnsucht nach bergenden Verbindlichkeiten: In der lokalen Einheit des Miami Police Departments sorgt sich ein väterlicher Chef um das Wohl seiner Leute, hält man ohne viel Worte zusammen und zieht bei den Einsätzen in unverbrüchlicher Loyalität an einem Strang. Wenn Sonny am Ende Isabella weggeschickt hat, eilt er zu seinen Leuten, die im Krankenhaus am Bett der verletzten Kollegin ausharren. Hochexplosive Ausflüge einerseits und der verbindliche Rahmen eines geregelten Verbandes andererseits. Das ist das eine Spannungsverhältnis, das Miami Vice zusammenhält.

Drittens vermittelt der Film ein Gefühl von dem Ausmaß, in dem in einer globalisierten Welt Grenzziehungen zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse, richtig und falsch zerfließen. Wenn Ricardo und Sonny mit den Gangstern verhandeln, wenn sie ihre Scheingeschäfte durchführen, ist kaum noch zu unterscheiden, wer Verbrecher ist und wer Polizist. Was zählt, ist die Wirksamkeit der Auftritte, sind die Beeindruckungen und die Fähigkeit, in Windeseile die Rolle zu tauschen. Die Helden des Films sind als Piloten, als Rennfahrer, als High-Tech-Polizisten, als knallharte Gangster, ja als Tänzer und als Menschen, die den großen Ausstieg planen gleichermaßen überzeugend. Das ist ein filmischer Ausdruck für das Surfen auf dem Strom vielfältig verlockender Lebensbilder, dem man sich in der zeitgenössischen Freizeit- und Medienwelt über lange Strecken überlassen kann. Der Gegenpol zu dieser Tendenz (viertens) zeigt sich in den fundamentalistisch und totalitär ausgerichteten Subkulturen, die der Film immer wieder aufblitzen lässt. Da treten „arische Bruderschaften“ auf und regiert die eiserne Faust des Supergangsters „Erzengel“ Jesus Montoya, dessen Kontrolle sich – den Worten Isabellas gemäß – niemand zu entziehen vermag. So ergänzt Michael Manns Skizze die Tendenz zum Zerfließen mit dem Sog in die Konsequenz von totalitären Organisationsformen, der unserer Zeit folgenschwer zu schaffen macht. Das ist das andere Spannungsverhältnis, in das der Film seine Zuschauer einbezieht.

Michael Mann, der auch als Produzent für die berühmte TV-Serie der 80er Jahre Miami Vice verantwortlich war, hat in seinem aktuellen Spielfilm nicht nur deren optimistische Pastelltöne verdunkelt und seinen Helden einen traurig-zornigen Gesichtsausdruck gegeben. Vielmehr hat er im Ganzen eine harte Strukturskizze unserer Zeit entworfen, die auch deutlich macht, in welchem Ausmaß sich die Welt in den Jahren nach dem Zusammenbruch des Ostblocks verändert hat. Man kann den Film wie ein modernes Märchen lesen, das ein zugleich anziehendes und erschreckendes Knäuel von einander ergänzenden Strukturtendenzen unserer Zeit beschreibt. Ein hochtouriges Surfen durch die High-Tech-Welt zwischen einer Sehnsucht nach bergenden Lebensräumen und der Bedrohung durch gefräßige, totalitäre Ordnungen. Im Kino wird es kurzweiliges Ereignis!

Dirk Blothner

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