In den vergangenen Jahren ging der Anteil junger Kinogänger stetig zurück, dagegen stieg der Anteil von Besuchern über 30 Jahren stetig an. Mit dieser Altersverschiebung kommt in der Branche die Befürchtung auf, das Kino steuere auf eine seiner größten strukturellen Krisen zu.

Viele Analysten gehen davon aus, dass hierfür vor allem DVD, Heimkino und Internet verantwortlich zu machen sind. Auch wird ein mangelndes Angebot an guten Filmen beklagt. Ellen Didszus, Leiterin Marktforschung CAG und Prof. Dirk Blothner, Filmwirkungsanalyse Köln haben filmbezogene Daten analysiert, die in den vergangenen Jahren von der FFA auf der Grundlage des GfK-Panels veröffentlicht wurden. Die Ergebnisse zeigen, welchen Einfluss Filminhalte auf das Verhalten der Zielgruppe 20 bis 29 haben und legen nahe, die zurzeit gefahrene Strategie der breitenwirksamen Blockbuster gründlich zu überdenken.

Spätestens seit dem Titanic-Jahr 1998 sieht die Filmwirtschaft ihr Heil in der Produktion und Vermarktung von Filmen, die wie das große Vorbild Titanic möglichst allen Altersgruppen etwas bieten. Damit hat sich eine inhaltliche Ausrichtung von Blockbustern etabliert, in der zwar viele Menschen Platz haben, die aber auf Dauer die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinogänger vernachlässigt. Dieser Trend wurde vor der Jahrtausendwende mit ihren digital produzierten Bilder zwar beeindruckenden, inhaltlich jedoch in der Mitte des Mainstreams schwimmenden Weltuntergangs- und Welterrettungsfilmen auf den Weg gebracht.

Nach der Jahrtausendwende war die Zeit der Weltuntergangsfilme vorbei und es waren mit einem Male keine großen Filme verfügbar, auf die sich mehrere Altersgruppen ähnlich gut einlassen konnten. So belegten im Jahr 2000 eine anstößige Komödie wie American Pie, ein kühler Actionfilm wie Mission Impossible 2, aufstörende Dramen wie American Beauty und The Sixth Sense und ein ungewöhnlicher Historienfilm wie Gladiator die Top 5 des Jahrescharts. Diese Filme lagen sehr viel mehr am Rand des Mainstreams als die Top 5 der Vor- und Folgejahre und gingen einher mit einem beachtlichen Anstieg des Anteils der 20-29jährigen an den fünf erfolgreichsten Produktionen des Jahres.

Frühere Untersuchungen zur Wechselwirkung von Filminhalten und Lebensaltern haben gezeigt: Menschen dieser Altersgruppe wollen Filme sehen, die Grenzen sprengen, die außergewöhnliche Erfahrungen bieten. Sie lassen sich auch auf die oben besprochenen Filme mit breiter Ausrichtung ein, vermissen aber etwas, wenn diese im Kino zu stark vertreten sind. Dann suchen sie woanders nach Erlebnissen, die ihren Hunger nach ungewöhnlichen Erlebnissen stillen. Diesen „Kick“ finden sie, indem sie Filme illegal aus dem Internet downloaden, Horrorfilmabende mit Freunden veranstalten und vieles mehr. (s. vier Studien „Filminhalte und Zielgruppen“ bei www.ffa.de unter Publikationen)

Mit dem Start der Reihen Harry Potter und Herr der Ringe setzte sich im Jahr 2001 die altersübergreifende Ausrichtung der Topfilme für mehrere Jahre durch. Hollywood und die Kinobetreiber waren glücklich. Aber sie zahlten einen hohen Preis: Die Jungen kehrten dem Kino mehr und mehr den Rücken zu. 2004, schließlich, waren die Twens mit ihren spezifischen Interessen so weit verdrängt, dass sich in den Top 5 fast ausschließlich Filme der altersübergreifenden Ausrichtung durchsetzten: Traumschiff Surprise, Harry Potter, 7 Zwerge, Shrek II und Der Untergang. In dem Chart wird die inhaltliche Nivellierung der Top 5 Filme in 2004 als breite Altersverteilung deutlich sichtbar. Lediglich Der Untergang brach aufgrund seines Themas aus dieser Reihe aus und zog überproportional viele Zuschauer über 40 Jahren an.

Ob sich eine Zielgruppe im Kino einfindet, ist abhängig von der durch Inhalte bestimmten Unterhaltungsverfassung, die von der Kinowirtschaft (Produktion, Distribution und Betreiber) unterstützt wird. Wenn man auf eine große, breite Unterhaltungsverfassung setzt – was auch die digitale Revolution möglich machte – verdrängt man unweigerlich Zielgruppen mit spezifischeren Bedürfnissen. Das traditionelle Kinopublikum (die jungen, nach neuen und ungewöhnlichen Erlebnissen suchenden Kinogänger) findet in den am meisten beworbenen Angeboten des Kinos weniger Anhaltspunkte, wirklich auf seine Kosten zu kommen.

Es sind daher nicht allein DVDs, Heimkinos und Internet, die die 20-29Jährigen dem Kino abziehen. Es ist auch die von der Filmwirtschaft seit Jahren unterstützte, altersübergreifende Ausrichtung, die die Jüngeren aus dem Kino treibt und woanders nach den zu ihnen passenden Erlebnissen suchen lässt.

Die Lösung für diese Fehlentwicklung ist eine Abkehr von der Jagd nach dem großen Wurf – „Ein Film für alle! -, der schließlich immer auf einen Einheitsbrei hinausläuft. Stattdessen ist die Zuwendung zu einer Politik der Vielfalt gefordert. Diese konzentriert ihren Einsatz sowohl auf „Blockbuster für alle“ als sie auch auf allen Ebenen der Distribution Filme mit starkem Inhalt unterstützt, auf die sich nicht jeder einlassen möchte. Letztlich handelt es sich bei der Politik der Vielfalt um eine notwendige Antwort auf Veränderungen des Unterhaltungsmarktes unter den Bedingungen seiner Globalisierung.

Weitere Analysen des Zusammenhangs von Filminhalten und Zielgruppen können zeigen, auf welche spezielleren, dafür aber nicht minder marktentscheidenden Bedürfnisse der Kinogänger die Filmwirtschaft heute setzen kann.

Dirk Blothner, Ellen Didszus veröffentlicht in Blickpunkt: Film 51/52 2005.

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