The New World (USA 2005)

Buch & Regie: Terrence Malick

Der Film von Terrence Malick, der vierte des 63jährigen Amerikaners, erzählt von den ersten englischen Siedlern, die an der amerikanischen Ostküste im Frühling des Jahres 1607 die Stadt Jamestown gründeten. Einer ihrer Anführer ist Captain John Smith (Colin Farell), dem Pocahontas (Q’Orianka Kilcher), die Tochter des Königs der Powhatan-Indianer, das Leben rettet. Das schöne und verspielte Mädchen verliebt sich in den Glücksritter Smith und wird daraufhin von ihrem Vater verstoßen. Trotzdem setzt sie sich dafür ein, dass die in der Landwirtschaft unerfahrenen Siedler den harten Winter überstehen und trägt damit zur Gründung der „neuen Zivilisation“ auf dem nordamerikanischen Kontinent bei. Nach einiger Zeit wirft sich der Abenteurer Smith in eine neue Expedition und lässt das Mädchen enttäuscht zurück. Sie trauert lange um den Verlust und lernt schließlich den einfühlsamen Siedler John Rolfe (Christian Bale) kennen, heiratet ihn, wird Mutter und reist mit ihm nach England, wo sie als wundersame „Prinzessin von Virginia“ am Hof von King James und Queen Anne bestaunt wird.

The New World wurde Anfang Februar außer Konkurrenz auf der 56. Berlinale gezeigt und polarisierte dort das Publikum. Die einen waren von der ersten bis zur letzten Szene fasziniert, andere verließen die Vorstellung schon nach einer Stunde. Lobende Äußerungen hoben den mythischen Inhalt des Films heraus. Kritische Stimmen hielten der Produktion vor, die historischen Tatsachen zu verfälschen und sahen in ihm nicht viel mehr als eine kitschige Lovestory im Indianerland.

Zeitloses Thema

Malick beginnt seinen Film mit Naturaufnahmen. Er führt den Betrachter unter Wasser. Menschenkörper gleiten verschwommen an ihm vorbei. Die Bilder werden von der langsam anschwellenden Ouvertüre zu Wagners Rheingold und von für Malick typischen, poetisch-philosophischen Off-Kommentaren unterlegt.

Dann hebt sich aus der Einheit des Wassers eine Gegenüberstellung heraus: Zunächst sind drei friedlich wirkende Handelsschiffe in der Mündung eines Flusses zu sehen. Es sind Engländer, die zum ersten Mal den neuen Kontinent betreten wollen. Unruhig und neugierig nehmen sie die geheimnisvollen Uferlinien in den Blick. Hierauf wechselt der Film die Perspektive. Aus dem dichten Wald beobachten bemalte Eingeborene die Aktivität der Seeleute. In ihrem Blick werden diese zu Fremden, zu Eindringlingen. Etwas später, an Land, umkreisen die Indianer die Besucher aus der alten Welt. Sie schnuppern an ihnen und betasten sie. Auf der Gegenseite sind Verwunderung und Angst ähnlich ausgeprägt: Eine intensiv inszenierte Annäherung an das unfassbar Fremde. Ein spannungsvoller, explosiver Moment, der sich in jedem Augenblick in gewaltsame Bemächtigung verkehren kann.

The New World behandelt sein Thema nicht nur auf der sichtbaren Oberfläche, sondern auch im Erleben der Zuschauer. Über die sich langsam und zerdehnt entfaltenden Bildentwicklungen durchleben sie ambivalente Qualitäten von Faszination und Befremden, Annäherung und Entzweiung, Bindung und Verrat und werden zusehends in die Konkurrenz unterschiedlicher Lebensformen verwickelt. Auf diese Weise macht der Film deutlich, dass die Menschen vor 400 Jahren ähnliche Konflikte zu behandeln hatten wie heute. Was zwischen den englischen Siedlern und den Powhatan-Indianern zu Beginn des 17. Jahrhunderts ausgehandelt wurde und als Anstoß und Gefahr in unseren Tagesläufen immer wiederkehrt, realisiert sich auch als „Kampf der Kulturen“ in den Krisengebieten unserer Zeit.

Mitten in der Begegnung zwischen Engländern und Ureinwohnern setzt mit einem Mal die Musik aus. Es ist still. Nur der Klang der Natur ist zu hören. Der sensible Moment der Annäherung der beiden einander fremden Kulturen scheint stillzustehen. Ist der Moment der Gewalt gekommen? Nein, die Blätter der Bäume, die Strahlen der Sonne, die Gesichter der Menschen und ihre Gesten bleiben in einem Rahmen. Christen und Naturals begegnen sich respektvoll und interessiert. Sie zeigen den besten Willen, friedlich miteinander auszukommen. Und doch bleibt der explosive Grundton erhalten. Doch einige Zeit später, als ein Powhatan aus der Laune des Augenblicks heraus die Axt eines Engländers an sich reißt, findet dann doch die befürchtete Wendung statt. Jemand greift vorschnell zum Gewehr, erschießt den Indianer und damit ist die Phase der respektvollen Begegnung vorbei. Von nun an beginnen sich die beiden Kulturen misstrauisch zu beäugen und der Krieg zwischen ihnen nimmt seinen eskalierenden Lauf.

Puppe in der Puppe

Tausendfach hat sich diese Verkehrung einer zunächst offenen Begegnung zwischen unterschiedlichen Lebensformen seit 1607 wiederholt. In dutzenden von Action-, Piraten- und Abenteuerfilmen haben wir ähnliche Übergriffe verfolgt. Aber mit seinen ruhigen und zerdehnten Bildentwicklungen, dem zum Innehalten zwingenden Off-Kommentar und der unsterblichen Musik Wagners und Mozarts bricht der Film die Handlungsebene immer wieder auf und legt in ihr ein Grundmuster der menschlichen Wirklichkeit frei. Das Fremde ist verheißender Anstoß und Schrecken zugleich. Wir suchen es unserem Bilde anzugleichen, weil wir befürchten, von ihm vernichtet zu werden. Aber wenn wir es aus der Welt zu bringen suchen, verliert sie ihren Reiz. Auch wenn der Plot in manchen Punkten von den historischen Begebenheiten abweicht, ist deshalb der Film nicht weniger wahr. Es gelingt ihm, eine zeitlose und überpersönliche Problematik unmittelbar spürbar zu machen.

Wenn sich einige Zeit später John Smith und Pocahontas allein auf einer Lichtung im Wald begegnen, einander umkreisen, anziehen und verschrecken, spielerisch aufeinander zu tänzeln und sich wieder entfernen, wiederholt sich die Anfangssequenz in der persönlichen Annäherung zwischen Mann und Frau. In jeder Szene hält Malicks Inszenierung das Unvereinbare in dieser Begegnung fest und macht zugleich die Sehnsucht spürbar, die Unterschiede zu überwinden. Und ähnlich wie auf der oben beschriebenen Handlungslinie sich Misstrauen, Verrat, Kampf und Unterwerfung einschleichen, wird auch diese so arglos begonnene Anziehung in Zweifel, Trennung und Leiden enden.

Malicks Film zeichnet aus, dass er Wendungen der Wirklichkeit als Puppe in der Puppe entfaltet. Der Rahmen wird gebildet durch die Besetzung des nordamerikanischen Kontinents durch die Engländer. Doch darin steckt wie in einer Miniatur die neugierige, offene und liebevolle Annäherung zwischen zwei Menschen. Es ist auf beiden Handlungslinien das Andere, das Fremde, das sich erst in Freundschaft und Liebe aufzuheben sucht und schließlich Anstoß für Entzweiung und Leiden ist. Indem Malick die Situation der ersten Siedler in Nordamerika mit der legendären Liebe zwischen einem Europäer und einer Indianerin verschränkt, macht er spürbar welch Kultivierungsarbeit die Existenz des Fremden von uns immer wieder verlangt. Ähnliche Konflikte, wie wir sie auf der kulturellen Ebene zu lösen haben, beschäftigen uns auch in unseren persönlichen Beziehungen.

Die Reaktionen auf der Berlinale haben gezeigt, dass The New World nicht Jedermanns Sache ist. Wir sind es gewohnt, entweder das eine oder das andere zu verfolgen und wehren uns daher gegen die intensive Verschränkung des Kulturellen mit dem Persönlichen. Vertraute Ordnungen verhindern, die nur schwer zu beschreibende, überpersönliche Wirkungsebene des Films zu erkennen. Und schließlich wollen wir gar nicht so genau wissen, dass der Umgang mit dem Anderen ein unlösbares Konstruktionsproblem des menschlichen Lebens ist, das uns nicht nur auf kulturell-politischer Ebene, sondern auch in unseren privaten Beziehungen immer wieder herausfordern wird. Aber gerade weil The New World das Filmerleben in diesen unauflösbaren Drehpunkt des Lebens hineinführt, ist er ein gelungener Film. Vielleicht sogar Malicks Meisterwerk.

Dirk Blothner

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